Der Einsatz von Drogen und die Auswirkungen von Trauma sind präsent in der queeren Community. Laut dem Global LGBT Health Research geben 30% der LGBT-Personen an, Missbrauch von Drogen und Alkohol erlebt zu haben, im Vergleich zu einer generellen Rate von 9%. Eine bemerkenswerte Feststellung aus dem Bericht ist, dass Berlin die zweithöchste Rate von Alkoholabhängigkeit unter schwulen Männern aufweist, direkt nach Kiew.
Price Freeney et al (2019) stellen in einer Online-Befragung von 5,100 Jugendlichen in den USA fest, dass die befragten LGB+-Jugendlichen häufiger Alkohol tranken und verschreibungspflichtige Medikamente ohne Rezept einnahmen.
Auch weitere internationale Studien kommen zu dem Schluss, dass in der queeren Szene Drogen – auch in Form von Tabak, Alkohol und Steroiden – weiter verbreitet sind als im allgemeinen Bevölkerungsdurchschnitt. Einen Überblick über die Studienlage (insbesondere zu Substanzkonsums bei schwulen Männern) gibt Malik et al (2023)
Wolf (2015) gibt einen Studienüberblick zu Substanzgebrauch bei lesbischen und bisexuellen Frauen – wonach einer europäischen Studie zu psychischer Gesundheit lesbischer Frauen (Dennert et al, 2006) ein höheres Abhängigkeitsrisiko und ein höherer Alkoholkonsum als bei heterosexuellen Frauen besteht.
Wolf konstatiert in dem selben Studienüberblick, dass gender-non-konform lebende Personen ein besonders hohes Risiko
für schädlichen Gebrauch von Substanzen tragen und beruft sich auf die Studie „Understanding Risk Factors Contributing to Substance Use Among MTF Transgender Persons“ von Wolf & Dew (2012).
Leider liegen mir keine weiteren allgemeinen Zahlen zum Drogenkonsum in der queeren Community in Deutschland vor. Die angeführten Studien lassen jedoch auch für Deutschland vermuten:
Der Substanzkonsum ist in der queeren Szene um ein vielfaches höher. Warum das so ist – und was das möglicherweise mit Traumata zu tun hat, erfährst Du weiter unten.

Mentale Gesundheit und in der queeren Szene
Wolf führt ein Modell von Greenwood und Gruskin (2007) an, wonach folgende Risikofaktoren bei schädlichem Substanzgebrauch in der LSBT Community ineinandergreifen:
- Faktoren im sozialen Umfeld (biografische Faktoren)
- Individuelle Faktoren (wie psychische Gesundheit)
- Community-Spezifika (wie community-spezifische Praktiken)
- Faktoren des gesellschaftlichen Umfelds (sie nennt hier u.a. gesellschaftliche Benachteiligung)
Meyer (2007) stellte fest, dass im Vergleich zu heterosexuellen Menschen, schwule Männer und lesbische Frauen vermehrt unter psychischen Problemen wie Substanzmissbrauch, affektiven Störungen und Suizid leiden (Cochran, 2001; Gilman et al., 2001; Herrell et al., 1999; Sandfort, de Graaf, Bijl, & Schnabel, 2001). Die bevorzugte Erklärung der Forscher für die höhere Prävalenz von Störungen bei LSBT-Menschen besteht darin, dass Stigma, Vorurteile und Diskriminierung ein stressiges soziales Umfeld schaffen können, das zu psychischen Problemen bei Menschen führt, die zu stigmatisierten Minderheitsgruppen gehören (Friedman, 1999).
- Lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, intersexuelle und queere Menschen sind häufig von systemischen Trauma durch gesellschaftliche Diskriminierung und Ungleichbehandlung betroffen – was Minority Stress erzeugt.
- Toxische Scham spielt bei Betroffenen systemischen Traumas eine Rolle – wie ich hier am Beispiel schwuler Männer aufgezeigt habe. Toxische Scham kann dabei ebenfalls grenz-verletzend wirken – und verstärkt Flight und Freeze Response
Drogen und Trauma
Dr. Haase, Chefarzt der Abteilung Psychosomatik und Psychotherapie am Reha-Zentrum Berliner Tor in Hamburg, sieht einen Zusammenhang zwischen Traumata und Sucht: „43 Prozent der Patienten in einem Fach-Krankenhaus für Suchterkrankungen weisen eine relevante Traumafolgestörung auf“, sagt der Mediziner in einem dem Ärzteblatt. Dieses schreibt an anderer Stelle dazu: „In den meisten Studien geht eine Traumafolgestörung dem gestörten Substanzkonsum zeitlich voraus. Komorbide Patienten schildern teilweise sehr genau, welche Droge sie bei welchen PTBS-Symptomen einsetzen.“
Mögliche Funktionen von Drogen in Bezug auf das Trauma:
Peter Levine zufolge hat Trauma einen Sog – weshalb auch von Traumavortex die Rede ist. Traumata bringt Traumafolgereaktionen Fight, Flight oder Freeze mit sich, in denen wir verharren. Das Nervensystem verliert die Fähigkeit zur Selbstregulation – so daß wir z.B. dauerhaft „on fire“ (also im Fight oder Flight Modus mit über-aktivem Sympathikus) oder immer lethargisch (also im Freeze-Modus mit über-aktivem dorsalen Vagus) sind. Drogen können nun unterschiedliche Funktionen der Selbstregulation haben:
- Drogen als der Versuch, eine Pause vom Fight-, Flight- oder Freeze-Modus zu haben: Der ventrale Vagus ist verantwortlich für Zustände wie Spaß, Sicherheit, Social Engagement – und auch bei Liebe, Lebendigkeit und echter Entspannung aktiv (s. hier). Bei über-aktivem Sympathikus und / oder dorsalem Vagus kann der ventrale Vagus ohne Hilfsmittel nicht zum Zuge kommen. Drogenkonsum kann die Funktion haben, die mit diesem Teil des autonomen Nervensystems verbundenen Zustände künstlich herzustellen.
- Drogen als der Versuch, Fight-, Flight- oder Freeze-Modus zu verstärken: Einige Drogen wie Kokain oder Speed bringen ein gewisses Maß an Aggression – also Fight-Response – mit sich. Ein Bedürfnis danach können entweder Menschen im Freeze (Hypoarousal) haben, welcher mit verminderten Antrieb einhergeht – oder Menschen im Flight-Response, welcher oft mit Angst einhergeht. Ein „sich wegschießen“ kann auch aus einer Wut gegenüber sich selbst resultieren. Für einige Konsument*innen dienen Drogen einer künstlich hergestellte Dissoziation oder als Flucht vor unangenehmen Gefühlen, dem Alltag o.ä. (Flight- und oder Freeze-Response). Diese wählen dann häufig entweder betäubende Drogen wie Cannabis – oder psychodelische Drogen. Bei Menschen, die unter systemischen Trauma (s.o.) leiden, gehört dazu die Vermeidung von unangenehmen Gefühlen wie Scham oder Wut, Alltagsbelastungen, Einsamkeit, Stress oder Anspannung.
- Drogen als der Versuch, eigene Grenzen zu überwinden: Günther Resch sieht Drogenkonsum im Zusammenhang mit dem Überwinden eigener Grenzen (Angst, Scham, …), die durch traumatische Erfahrungen möglicherweise eng und instabil geworden sind. Er schreibt dazu in seinem Artikel: „Sucht und Trauma“ in dem Sammelband „Somatische Erfahrungen in der Traumabehandlung“: „Ein Menschen mit Suchtproblematik gerät in Gefahr, sich im Fortschreiten seiner Sucht zunehmend zu verlieren. Die drückt sich unter anderem in einem Verlust von Ich-Strukturen aus. Suchtdynamik und Traumadynamik lösen beide Grenzen auf. Grenzen, die unter anderem notwendig sind, um sich selbst in Beziehung zur Umwelt zu setzen.“ (Rahm/Meggyesy 2019, S. 158).
Begleit-Effekte von Drogenkonsum in Bezug auf Trauma:
- Traumata zeichnet sich dadurch aus, dass etwas „zu viel“ war (Bedrohung, Emotion o.ä.) – oder etwas „zu wenig“ war (z.B. Sicherheit) – Traumafolgereaktionen (s.o.) sind eine Reaktion des autonomen Nervensystems auf diese überwältigende Erfahrung. Drogenerfahrungen können sich ebenfalls mit einem „zuviel“ einhergehen (Beispiel K-Hole). Oder mit einem „zu wenig“ (z.B. ein unerfülltes Bedürfnis nach Geborgenheit, Sicherheit, Zuneigung während eines Trips o.ä.). Das autonome Nervensystems kann darauf ebenfalls mit Traumafolgereaktionen reagieren und in ihnen „stecken bleiben“.
- Drogen können auch ein Verhalten und Reaktionen von Konsument*innen und anderer bewirken, welche traumatisierend sein können. Wenn während des Konsums z.B. Dinge geschehen, die nicht geschehen hätten sollen und nachträglich Scham (Freeze Response) erzeugen.
- Die Grenzen werden noch durchlässiger durch Drogen. Das Selbstbild verschwimmt mehr und mehr.
- Drogen stören die natürliche Selbst-Regulationsfähigkeit des Körpers – so daß die Resilienz sinkt und das Nervenkostüm dünner wird. Bei regelmässigem Konsum kann das Abhängigkeit und Sucht erzeugen – weil der Körper verlernt, sich ohne Drogen zu regulieren.
- Drogen gehen mit psychischen Störungen einher – wie u.a. eine Studie unter Interessent*innen geschlechtsangleichender Therapien in Spezialkliniken zeigt (2007–2010)
Somatic Experiencing und Suchttherapie
- Somatic Experiencing ist keine Suchttherapie – sondern traumatherapeutische Methoden. Dementsprechend ist nicht das primäre Ziel, den Drogenkonsum zu stoppen – sondern zu erkunden, auf welche(s) Traumata der Drogenkonsum die Antwort ist. Dabei wird die gebundene Trauma-Energie entladen, die durch Trauma und Drogenkonsum durchlässig gewordenen Grenzen wiederhergestellt und wieder ein Gefühl von Sicherheit zu erzeugt. Auf diese Weise beruhigt sich das autonome Nervensystem nach und nach – und lernt wieder, sich selbst zu regulieren. Der ventrale Vagus kommt wieder eigenständig zum Zug – so dass die Funktion der Drogen eines Tages überflüssig wird. Der Weg dorthin kann lang sein – und wird umso länger, wenn während des Therapie-Zeitraums weiter vereinzelt oder regelmässig konsumiert wird (dann besteht die Herausforderung darin, das Timing zwischen Konsum und Somatic Experiencing geschickt zu wählen). Sinnvoll kann Somatic Experiencing insbesondere in Kombination (s. auch hier) mit einer weiteren Suchttherapie in Spezial-Einrichtungen sein – oder direkt im Anschluß. Weitere Information zu Suchtberatung und Suchttherapie gibt es hier: https://www.berlin.de/lb/drogen-sucht/themen/suchthilfe/
- Um Rückschlüsse auf das autonome Nervensystem zu bekommen, erforschen wir neugierig und wertschätzend, welche Funktion die Drogen im Einzelfall haben.
Ego State Therapie und trauma-sensible Hypnose in der Suchtberatung
Hypnose ist ein bißchen wie Drogen nehmen – nur ohne Drogen. Hypnotische Trance-Zustände können somit einerseits ein Ersatz für drogen-induzierte Trance-Zustände ohne die negativen Begleiterscheinungen sein. Vor allem jedoch ermölicht sie über den Zugang zu inneren Anteilen (Ego States) therapeutische Bearbeitung von Abhängigkeit.
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